- Medizinnobelpreis 2000: Arvid Carlsson — Paul Greengard — Eric Kandel
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Die zwei Amerikaner und der Schwede wurden für ihre Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem geehrt.BiografienArvid Carlsson, * Uppsala (Schweden) 25. 1. 1923; 1951 Promotion an der Universität in Lund (Schweden), ab 1959 Professor für Pharmakologie an der Universität Göteborg.Paul Greengard, * New York 11. 12. 1925; ab 1959 Leiter der Abteilung Biochemie der Geigy Research Laboratories in Ardsley (New York), ab 1961 Professor für Pharmakologie am Albert Einstein College of Medicine in New York, ab 1968 Professor für Pharmakologie und Psychiatrie an der Yale University School of Medicine in New Haven (Connecticut), ab 1983 Leiter des Laboratory of Molecular and Cellular Neuroscience an der Rockefeller University in New York.Eric Kandel, * Wien 7. 11. 1929; ab 1974 Professor für Physiologie und Psychiatrie an der Columbia University (New York), 1974-83 dort Leiter des Zentrums für Neurobiologie und Verhaltensforschung, ab 1992 dort Professor für Biochemie und molekulare Biophysik.Würdigung der preisgekrönten LeistungManchmal umspannt die Leistung von Wissenschaftlern, die gemeinsam mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden, ein weites Feld. Die Medizinpreisträger des Jahres 2000 beweisen das eindrücklich: Eric Kandel von der Columbia University in New York untersuchte die Gedächtnisleistungen der Meeresschnecke Aplysia. Paul Greengard von der Rockefeller University erforschte, welche Reaktionen das Biomolekül Dopamin auslöst, wenn es an eine spezielle Empfangsantenne einer Nervenzelle andockt. Arvid Carlsson, der dritte Medizinnobelpreisträger des Jahres 2000 und einstige Professor an der Universität im schwedischen Göteborg, hat ein Medikament gegen die Parkinsonkrankheit entdeckt, als er darüber forschte, wie Nervenzellen Informationen austauschen.Wohl selten spannt ein einziger Nobelpreis so eindrucksvoll den Bogen von der Grundlagenforschung am Gehirn eines primitiven Tiers bis zu einer praktischen Anwendung, von der Millionen Kranke profitieren. Die Arbeiten aller drei Forscher könnte mit »langsame synaptische Transmission« betitelt werden. Damit meinen die Wissenschaftler die Übertragung von Signalen zwischen zwei Nervenzellen, die Sekunden bis Stunden dauern kann. Nicht die üblichen Reaktionen der Nerven werden so gesteuert, sondern grundlegende Funktionen im Nervensystem, die zum Beispiel für das Entstehen von Stimmungen verantwortlich sind. Gleichzeitig kontrolliert die langsame synaptische Transmission auch die »schnelle synaptische Transmission«, die Bewegungen und Wahrnehmungen übermittelt. Die Nobelpreisträger haben daher gleichzeitig auch die zentrale Reaktion beleuchtet, die uns das Denken ermöglicht. Ihnen scheint es gelungen, den alten Satz zu widerlegen: »Ein Gehirn kann nie sich selbst verstehen, denn dann wäre es so primitiv, dass es sich nicht verstehen könnte.« Genau diesen Zirkelschluss aber hat die Geistesleistung der Wissenschaftler durchbrochen: Ihre Forschungen haben diejenigen Denkprozesse etwas aufgeklärt, mit denen sie ihre Erkenntnisse gewonnen haben.Das Biomolekül DopaminMehr als 100 Milliarden Nervenzellen leiten im Gehirn eines Menschen Signale als winzige elektrische Impulse weiter. Die Verbindung mit anderen Nervenzellen kann aber nur über winzige Schalter stattfinden. Kleine Biomoleküle stellen diese Schalter im Gehirn dar. Die Bedeutung eines dieser Biomoleküle, des Dopamin, erkannte Arvid Carlsson Ende der 1950er-Jahre.Wie die anderen Botenstoffe des Gehirns, sammelt sich Dopamin in kleinen Bläschen am Ende einer Nervenzelle. Stimuliert ein elektrisches Signal die Nervenzelle, schüttet sie solche Signalstoffe in den schmalen Zwischenraum zur nächsten Nervenzelle aus, den »synaptischen Spalt«. Rasch gelangen die Biomoleküle zur nächsten Zelle und hängen sich dort an spezielle Antennen, die Rezeptoren. Für jeden Signalstoff gibt es einen bestimmten Rezeptor, der »sein« Biomolekül eindeutig erkennt. Dieser Rezeptor löst anschließend in der Empfängerzelle auch bestimmte Prozesse aus, die das empfangene Signal weiterleiten.Arvid Carlsson aber identifizierte Dopamin nicht nur als wichtigen Botenstoff des Nervensystems, sondern auch als Ursache der Parkinsonkrankheit. Bei den Betroffenen degeneriert im Mittelhirn die »Substantia nigra«, dadurch wird Dopamin nicht mehr ausreichend produziert. Dieser Mangel wiederum löst die charakteristische Schüttellähmung aus. Unkontrollierbares Zittern, Muskelstarre und stark verlangsamte Bewegungen entstellen die Patienten, von denen es allein in Deutschland weit mehr als 200 000 gibt.Demnach sollte die Parkinsonkrankheit geheilt werden können, wenn man Patienten Dopamin verabreicht. Genau das wird praktiziert; allerdings verlieren solche Medikamente nach einiger Zeit ihre Wirkung und haben schwere Nebenwirkungen. Bei neuen Therapien werden daher abgetriebenen Föten Gehirnzellen aus der Region entnommen, in der sich diejenigen Zellen entwickeln würden, die bei Parkinsonpatienten gestört sind. Die Zellen werden den Patienten eingepflanzt, doch die meisten sterben ab, weil das Immunsystem des Körpers sie abstößt. In manchen Patienten aber überleben einige Zellen, die genug Dopamin produzieren, um das Leiden zu lindern. Bisher stellt diese Methode jedoch keinen Durchbruch auf breiter Front bei der Therapie der Parkinsonkrankheit dar. Ethische Bedenken erschweren die Forschung in diese Richtung obendrein: Hätte die Methode großen Erfolg, würde sie (abtreibende) Frauen zu »Plantagen« für einen neuen Markt der Pharmaindustrie machen.Die Erforschung des LernprozessesEric Kandel interessierte sich dafür, wie ein Prozess funktioniert, der unter dem Begriff »Lernen« bekannt ist. Für solche Untersuchungen aber ist das Gehirn von Säugetieren zu kompliziert. Deshalb wandte sich der Forscher der Meeresschnecke Aplysia zu, die nur 20 000 Nervenzellen hat. Reizt man das Tier, zieht es seine Kiemen reflexartig zurück. Manche Reize verstärken diesen Reflex, was Kandel als primitives Lernen interpretierte.Bei diesem Lernen aber verändert sich die Synapse, wie die Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen auch genannt wird: Neue Eiweiße werden gebildet und in die Synapse eingelagert. Damit verändert sich aber nicht nur die Form, sondern auch die Funktion des winzigen Spalts zwischen zwei Nervenzellen. Erstmals hat ein Wissenschaftler damit gezeigt, dass Lernen wirklich die Struktur von Nervenzellen verändert. Und das nicht nur bei Meeresschnecken. Denn auch die Maus verändert beim Lernen ihre Synapsen. Beim Menschen wird es wohl kaum anders sein.Am Beispiel dieses Medizinnobelpreises kann daher verdeutlicht werden, dass Grundlagenforschung letztlich dem Menschen hilft.R. Knauer, K. Viering
Universal-Lexikon. 2012.